Trauerbewältigung, Trauerreaktionen und Trauerphasen

Trauerbewältigung in der Klasse

Trauer ist ein Prozess. Für Trauerbewältigung nach einem Unglücks- oder Todesfall muss man den Schüler:innen (genauso wie allen anderen Betroffenen) Zeit geben, diesen zu verarbeiten. Trauerbewältigung hilft, wieder in den Alltag zurückzukehren.  

Rituale oder unterschiedliche Strategien können helfen, die Trauer besser zu bewältigen.
Trauer hat unterschiedliche Formen und es kann durch Außenstehende nicht beurteilt werden, ob jemand trauert oder nicht. 
Schularbeiten, Tests und das Lernen allgemein sind in Zeiten der Trauerbewältigung für Schüler:innen oft nachrangig, dies sollte man eine gewisse Zeit berücksichtigen. 
Schüler:innen, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, verstehen oft nicht genau, was passiert ist, können sich nicht entsprechend ausdrücken und auch nicht ausreichend trauern. Bitten Sie in diesem Fall eine entsprechend muttersprachliche Lehrperson oder die Mitarbeiter:innen der Migrant:innenberatung in der Bildungsdirektion oder des Mobilen Interkulturellen Teams der Schulpsychologie um Hilfe. 
Auch die Informationen an die Eltern (Elternbrief und Elternabend)  sollten in allen notwendigen Sprachen verfasst werden – nicht ausreichend verstandene Information erhöht die Unsicherheit und die Angst.

Möglichkeiten zur Trauerbewältigung (auch im Anschluss an das strukturierte Interventionsmodell)

  • Einfache, bewältigbare Aufgaben geben, Stoff wiederholen statt im Stoff rasch weitergehen, Aktivitäten ermöglichen, die den Selbstwert erhöhen
  • Projekte ins Leben rufen (z.B. Sammeln für Katastrophenopfer, Kompetenzen erhöhen durch Erste-Hilfe-Kurse)
  • Kummerkasten aufhängen in den die Schüler:innen Fragen einwerfen können, regelmäßig durch eine Lehrperson leeren lassen und die Antwort auf eine Pinnwand in der Klasse oder auf den Gang hängen
  • Schreiben eines gemeinsamen Klassenbriefes an die Eltern eines verunglückten Kindes
  • Erstellen von Fürbitten für ein Begräbnis(z.B. mit dem Religionslehrer), aber auch Einbeziehung der Kinder, die nicht der Religion des verstorbenen Kindes angehören
  • Gemeinsam in der Klasse Musik machen, etwas Singen oder Komponieren
  • Schreiben von Botschaften an den/die Verstorbenen (jeder Schüler/jede Schülerin für sich), die dann z.B. bei einem gemeinsamen Spaziergang an einem Fluss verbrannt werden oder an einem anderen zulässigen Ort im Freien (unter Aufsicht einer Lehrperson)
  • Spaziergänge (über den Friedhof, zur Unglücksstelle – immer nur freiwillig!) mit anschließendem Verbrennen von persönlichen Botschaften an die den verunglückten Schüler:in
  • Teilnahme am Begräbnis (freiwillig, aber so viele wie möglich) – dazu brauchen vor allem die jüngeren Kinder vorab Informationen, wie ein Begräbnis abläuft, da natürlich bei Begräbnissen sehr starke Emotionen bei den teilnehmenden Personen auftreten können. Es gehört besprochen, was bei einem Begräbnis passiert, die Kinder darauf vorbereitet, dass bei einem Begräbnis emotionale Reaktionen (Weinen, etc) ganz sicher auftreten werden und überlegt, wie das Begräbnis mit den Kindern nachbesprochen werden kann. Die Begleitung der Kinder durch ausreichend erwachsene Begleitpersonen muss v.a. bei jüngeren Kindern organisiert werden
  • Besuch des Grabes, sollten die Eltern einer Teilnahme der Klasse nicht zustimmen oder Kinder aus anderen Gründen nicht am Begräbnis teilgenommen haben und das Anzünden einer Kerze am Grab 
  • Telefonnummern von Kriseneinrichtungen als Abreißzettel auf die Schüler:innen-WCs hängen (für emotionale Notfälle)
  • Sport, Hobbies anregen bei den Schüler:innen
  • Luftballone mit Gedankenwünschen steigen lassen
  • Kerzen anzünden (sofern ein sicherer Platz dafür in der Schule vorhanden ist)

Prinzipiell hilft die Struktur der Schule den Kindern, sich wieder in den vertrauten Alltag hineinzufinden. Struktur gibt Sicherheit.

Trauerrreaktionen

Trauerreaktionen auf ein Ereignis können im Klassenverband und je nach Kind/Jugendlichem unterschiedlich ausfallen:
Weinen, Wut, Sprachlosigkeit, sozialer Rückzug, scheinbares Unbeteiligtsein bzw. Emotionslosigkeit, Lachen, Schwätzen, Unaufmerksamkeit, Zappeln, Unkonzentriertheit, starres Verfolgen von aktuellen Tätigkeiten oder hyperaktive Symptome und vieles mehr.
Jeder Mensch ist einzigartig und trauert darum auf seine eigene Art und Weise. Es gibt nicht „die richtige“ Trauerreaktion auf ein Ereignis.
Besonders zu beachten ist, dass die Trauer sich nicht unmittelbar bei Auftreten des Ereignisses äußern muss, sondern sich auch erst zu einem späteren Zeitpunkt zeigen kann.

Trauerreaktionen bei Vorschulkindern bis ca. 6 Jahren

Kindern in diesem Alter fehlen oftmals die Worte, um die Trauer auf verbaler Ebene ausdrücken zu können.

Daher kann sich Trauer auch wie folgt zeigen:
•    Suche nach körperlicher Nähe und Halt
•    Verändertes Sozialverhalten (sozialer Rückzug, erhöhtes Aggressionspotential, vermehrt Konflikte mit
     Mitschüler:innen)
•    Lernschwierigkeiten
•    Regressionen (Zurückfallen auf frühere Stufen der Entwicklung/Verhalten)
•    Einnässen
•    Regression in der Sprache
•    Verminderte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit

Kinder in dieser Altersgruppe können ihre Trauer am besten in Form von Rollenspielen, beim Malen, Tanzen oder durch Modellieren ausdrücken. Auch sportliche Betätigung kann in der Trauerbewältigung hilfreich sein. 
 

Trauerreaktionen bei Schulkindern von 7 bis ca. 12 Jahren

Schulkinder haben bereits einen realistischen Zugang zur Welt und somit auch eine realere Vorstellung vom Tod.
Sie können Ausmaß und Folgen eines Todesfalls weitreichend überblicken, weshalb die Erfahrung des Todes tiefe Besorgnis und Ängste (auch Angst, einen Elternteil oder Freunde zu verlieren) auslösen kann.

Grundschulkindern fällt es noch schwer über Gefühle zu sprechen, daher ist es wichtig, die Schüler:innen über einen längeren Zeitraum gut zu beobachten und ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Trauer altersentsprechend ausdrücken zu können.

Für diese Altersgruppe geeignet sind folgende Ausdrucksmöglichkeiten:
•    Kreatives Malen oder Gestalten (aus Bildern oder Fotos eine Gemeinschaftsarbeit gestalten)
•    Schreiben (Brief an Verstorbenen, Kondolenzbuch, Verschriftlichen von Erinnerungen bzw. besonderen
     Erlebnissen) bzw. Collagen
•    Zettel mit Wünschen an den Verstorbenen
•    Musik hören oder machen

Trauerreaktionen bei Jugendlichen ab ca. 12 Jahren

In dieser Entwicklungsphase beschäftigen sich Jugendliche intensiv mit dem Thema „Sterben“, mit der Frage nach einem Weiterleben über den Tod hinaus sowie der Frage nach dem tieferen Sinn des Lebens.

Peergroup und Freundeskreis sind zur Identitätsfindung überaus wichtig.
Mit Freunden wird Trauer in einer Art und Weise verarbeitet, die den kulturellen Ausdrucksformen der Jugendlichen entsprechen und Erwachsenen meist fremd sind
•    Lautes Musik hören
•    „chillen“
•    Kommunizieren über Chatrooms, Plattformen oder anderes, "Zocken" oder Gaming

Jugendlichen sollten keinesfalls eigene, traditionelle oder allgemeine bekannte Formen der Trauerbewältigung aufgezwungen werden.

Umgang mit trauernden Kindern

Wie begegne ich als Lehrer:in einem trauernden Kind/Jugendlichen bei Verlust der Eltern oder eines Geschwisters? (Auszug aus nachfolgender Broschüre, 2-seitig) 

Vom Umgang mit Trauer in der Schule - Handreichung für Lehrkräfte und Erzieherinnen
(41-seitige Broschüre als PDF-Datei, Ministerium Baden-Württemberg)
aus dem Inhalt: Ein Elternteil / Geschwister ist gestorben; Wie kann ich als Lehrperson einem trauernden Kind begegnen; Umgang mit Eltern eines verstorbenen Kindes

 

Trauerphasen

4 Trauerphasen nach Verena Kast

1. Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens

Die Nachricht des Todes löst einen „Gefühlsschock“ aus. Der Verlust wird geleugnet, kann nicht realisiert werden und die eigenen Emotionen können nicht wahrgenommen werden. Die trauernde Person scheint empfindungslos und fühlt sich oft selbst „wie tot“. Die körperlichen Reaktionen können alle Symptome eines Schocks (schneller Pulsschlag, Schwitzen, Übelkeit, motorische Unruhe) sein. Die Phase dieses Zustandes kann von einigen Stunden bis zu etwa einer Woche andauern, im Falle eines plötzlichen Todes kann sie noch länger anhalten.

 
2. Phase der aufbrechenden Emotionen

In dieser Phase tauchen Trauernde in ein regelrechtes Gefühlschaos: Wut, Trauer, Angst, Zorn, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle, u. v. m. stellen sich ein. Welche Emotionen sich mischen oder überwiegen, hängt stark von der Persönlichkeit ab, so reagieren z.B. Ängstliche mit Angst, Choleriker mit Zorn, usw. Diese Stimmungslabilität kann im Kontakt mit anderen schnell zur Schwierigkeit werden. Die Ohnmacht des Menschen angesichts des Todes kann nur schlecht eingesehen werden. Es treten Schuldgefühle auf, weil man befürchtet, nicht alles getan, etwas versäumt oder unterlassen zu haben, das den Tod hätte verhindern können oder es werden andere Menschen dessen beschuldigt.

 
3. Die Phase des Suchens und des Sich-Trennens

Beim Verlust eines geliebten Menschen suchen wir zum einen den realen Menschen (Aufsuchen von Orten, die der Verstorbene mochte, in den Gesichtern anderer Menschen nach Zügen des Verstorbenen suchen, Übernehmen von Gewohnheiten des Verstorbenen) und zum anderen Möglichkeiten, Teile der Beziehung zu erhalten (Erzählungen und Geschichten über den Verstorbenen, innere Zwiegespräche mit dem Verstorbenen) - eine innere Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen findet statt. Dieses Suchen bereitet den Trauernden darauf vor, ein Weiterleben ohne den Verstorbenen zu akzeptieren, keineswegs aber ihn zu vergessen.


4. Die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs

Im Verlauf der vorhergegangenen Phase wurden Wege gefunden, mit dem Verstorbenen positiv umzugehen. Er wird zu einer Art „inneren Figur“, dies kann sich ausdrücken, indem der Verstorbene als innerer Begleiter erlebt wird oder daran, dass der Trauernde Lebensmöglichkeiten, die zuvor an die gemeinsame Beziehung gebunden waren, in sein eigenes Leben integriert hat. Die Gedanken und Handlungen des Trauernden kreisen nicht mehr ausschließlich um den Verstorbenen, es wird wieder möglich das eigene Leben zu gestalten. Selbstvertrauen und Bezugsfähigkeit wachsen, so dass neue Beziehungen eingegangen werden können und neue Lebensmuster entwickelt werden können, ohne dass der Verstorbene vergessen scheint.


Der Durchlauf der Phasen kann nie stringent und idealtypisch verlaufen und auch nicht einer zeitlichen Begrenzung unterliegen, denn die Art und Weise der Trauerarbeit und Trauerbewältigung hängt neben der Persönlichkeit des Trauernden auch von seiner Beziehung zu dem Verstorbenen und dessen Todesumständen ab. In allen Phasen kann es zu Schwierigkeiten kommen, die sich, wenn keine Unterstützung vorhanden ist, schnell manifestieren können und ein Stagnieren des Trauerprozesses zur Folge haben können.

 

(vgl. Krisenkompass, Schulverlag plus AG 2011, Handbuch für Lehrkräfte, Heft "Abschied", Kapitel 4)